Datum 23.06.2021 10-18h
IKL, Karl-Schweighofer-Gasse 3, 1070 Wien

Looking at the Stories, Veza Czyn

IT MATTERS WHAT STORIES TELL STORIES
Dieser und weitere von Donna Haraway übernommenen Sätze sind die mantrahaften Ausgangspunkte der Arbeit „Looking at the Stories“ von Veza Czyn. Durch bröckelnden Putz entstandene Strukturen dienen als Reflexionsplattform für das Nachdenken darüber, wie Geschichten Welten erschaffen können.


Veza Czyn, geboren 1991, lebt und arbeitet in Wien. In ihren künstlerischen Arbeiten verhandelt sie Themen wie Zugehörigkeit, Narrativkonstruktionen, Widerstand und Resilienz.

Cargocollective.com/vezaczyn



Körper im Kontext, Lydia Hinteregger

Die Vielfalt der Gestalt einer Person, 2020/21

Lydia Hinteregger studiert bildnerische Erziehung am Institut für das künstlerische Lehramt und Design, materielle Kultur und experimentelle Praxis an der Universität für Angewandte Kunst. In ihren Arbeiten befasst sie sich mit der Vielfältigkeit der vermeintlich einheitlichen Gestalt des Körpers einer Person.



„Im Spiegel erforsche ich meine äußere Erscheinung und zeichne sie mit meinem Blick ab. Mein Blick verweilt auf den Umrissen meines Spiegelbildes ohne den Blick davon abzuwenden. Dabei entdecke ich, dass ich dieser Körper bin und gleichzeitig ist der Körper nur eine Erscheinung. Das Innere Empfinden bleibt stetig in Veränderung.“



Körper im Kontext, Sandra Bayer

„In meiner Arbeit spreche ich über eine körperliche Erfahrung, deren Diskurs die Gemüter erhitzt:
Meine zwei Schwangerschaftsabbrüche.
Fragen nach den Gründen, wie z.B. der Angst vor Diskriminierung – denn alleinerziehende Mutter zu sein, bedeutet noch immer stark Armutsgefährdet zu sein – oder wie sehr diese so persönlichen Entscheidungen und ihre emotionale Verarbeitung von gesellschaftlichen Normen gefärbt waren. Und warum es noch immer ein Tabuthema ist, sind Inhalte dieser Arbeit.
Denn solange Verhütung und Kindererziehung weitestgehend Frauensache ist, bleibt der weibliche Körper weiterhin Projektionsfläche ideologischer Grabenkämpfe.”


Sandra Bayer hat von 2010 bis 2015 Design an der technischen Hochschule Georg-Simon-Ohm in Nürnberg studiert, arbeitet seit 2016 als DaF/DaZ-Trainerin und studiert seit 2018 Kunst und Bildung an der Akademie der Bildenden Künste und Psychologie und Philosophie an der Universität Wien.



ICH

Du bist nicht mehr da, denn es war zu früh.
Noch nicht.
Und jetzt bist du nicht mehr da.
Ich habe dich gesehen. Gespürt.
Wenn man es erfährt, ist es so surreal.
Ich hatte kein Gefühl. Sollte man ja denken, dass man das irgendwie versteht, bemerkt.
Nur leichte Bauchschmerzen und eine Unruhe, dass es sein könnte, aber da man die immer hat, diese unterschwellige Furcht vor dem, was nicht sein darf.
Nicht noch einmal vor allem.
Erst als ich wieder aufgewacht bin.
Wenn Wände einstürzen und Räume freilegen, deren Existenz dir garnicht vorstellbar war und Unbewusstes seinen Platz nimmt, um nie wieder zu gehen.
Neue Realität.
Ich sehe dein Gesicht. Ihres habe ich auch gesehen.
Warum dieses Mal?
Warum bin ich nicht wieder erleichtert, dankbar und demütig?
Nein, ich möchte schreien.
Die Verhütung hat versagt. Warum muss ich das machen und meinen Körper dafür bereitstellen.
Ach, ich wäre auch so gerne einfach nur dabei. Es ist so ungerecht, was da alles an einem hängt. Wir setzen immer noch unverhältnismäßig viel mehr aufs Spiel.
Ach je, Angst die in Selbstmitleid übergeht.
Warum habe ich so viel Angst?

DU

Ich vermiss dich.
Seltsam, ich kenn dich ja nicht.
Aber ich vermisse dein Gesicht, dein Lachen, die Gespräche mit dir und dich aufwachsen zu sehen.
Plappern, krabbeln, laufen, diskutieren. Deinen Charakter.
Die Idee ist so konkret.
Ich habe mir das so oft ausgemalt, dass ich es vermisse.

ANDERES DU

Deine Augen vielleicht grün, die Haare braun und lockig.
Ich weiß, dass es dich auch gab.
Ich mochte dich nicht.
So peinlich es mir ist, aber du warst Bedrohung, kein Teil von mir. Alien.
Vor dem Eingang wartend ein Spalier aus grauen Gesichtern, eingebettet in Rauch.
Dr. Freudemann. Hager, gestresst, kalter Rauchgeruch umhüllt auch ihn.
Im pink-weiß gestreiftem Nachthemd mit Katze auf der Brust saß ich im Anamnesezimmer und war etwas überfordert.
Wer, was, wie, wo? Weiß der Partner auch Bescheid?
Ein Letzter Ultraschall. Zack, zack. Kassenpatient sein, ist eben hektisch.
Danach im Aufwachraum zehn gepresste Stimmen, sanftes Säuseln von Wimmern und erstickten Tränen.
Ich war noch nie so dankbar dafür, Fehler revidieren zu dürfen.
Warum das alles? Er, ich. Tja.
Ich hatte es ihm nicht erzählt. Er war so wahnsinnig christlich.
Wofür sich hassen lassen.
Eine Feigheit die mich und ihn schützt.

NOCHEINMAL

Sanfter, dudelnder, einlullender Aufzugsjazz. Oh Gott.
Ich schwitze.
Noch einmal also.
Neben mir ein glucksendes Baby. Als ich den Kopf zu ihm hindrehe lächelt es mich an und dann seine Mutter, die das Lächeln erwidert.
Jazz, Blumen, Elternglück. Hallo österreichische Privatklinik.
Diesmal ist der Arzt gebräunt, gesträhnt und trägt den Kragen seines Polohemdes aufgestellt.
Ich habe mich nicht getraut zu fragen, was danach eigentlich damit passiert.
Sogar meine Weisheitszähne habe ich ungefragt in einer Spritze mit nach Hause bekommen.
Wird es verbrannt?
Alleine, oder zusammen mit den anderen?
Ich hätte es gerne beerdigt. Ist dieser Wunsch seltsam?

WUT

Ich habe Linsen gewaschen, sie in den Kühlschrank gestellt und vergessen. Als ich sie ein paar Tage später heraus holte, waren sie gekeimt.
Sie standen auf dem Tisch, ich saß davor und hab geweint.
Ich bin so wütend. Worauf weiß ich nicht genau.
Es ist eine unspezifische, aber konstante Wut.
Wann beginnen meine eigenen Entscheidungen?
Wovor habe ich Angst?
Wogegen kämpfe ich?
Es war Rebellion. Beide male.
Gegen mich, dich, ihn und euch.
Aber woher die Scham?
Scham zu Wut.
Hoffnung zu Schmerz.
Angst zu Dankbarkeit oder Entsetzen?
Diese verdammte Schlaflosigkeit und sich drehende Gedanken.
Die Freiheit eigene Entscheidungen treffen zu dürfen.
Ich kann nicht sprechen.
Ich bin nicht in der Stimmung.
Was will ich auch sagen?
Was mich verändert?
Neue Realität, ich weiß nicht ob ich dich mag.
Weiterentwicklung fühlt sich oft an, als würde man neues Entsetzen in sich aufnehmen und verwahren bis Ernüchterung daraus wird.
Dann kennst du die ewig gleichen Geschichten wieder etwas besser.
Aber dass es so tief geht.
Wann habt ihr begonnen unseren Körper zu formen und unser Gewissen zu dirigieren?
Ist Freiheit die Kontrolle über Wünsche zu verlieren?
Als ich aufgewacht bin, habe ich verstanden, dass dieses bleibt.


Fotos der Ausstellung
am 23.06.2021 10-18h
IKL, Karl-Schweighofer-Gasse 3, 1070 Wien